Autogramm Ford F-150 LightningDann eben mit Gewalt
Die meisten US-Amerikaner verschmähen E-Autos, Tesla bediente lange nur eine Nische. Nun will Ford den Erfolg mit dem monströsen Pick-up F-150 Lightning erzwingen. Eine erste Fahrt in den USA zeigt: Das könnte klappen.
VonThomas Geiger
- X.com
- Messenger
- Messenger
Dieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Der erste Eindruck: klobig, aber auch kumpelhaft. Also ganz anders als Teslas Cybertruck im Star-Trek-Design und Rivians R1T mit Raumschiff-co*ckpit.
Das sagt der Hersteller: »Das ist das richtige dicke Ding«, befindet Darren Palmer über den F-150 Lightning. Der Chefentwickler für Elektrofahrzeuge bei Ford meint: Es handelt sich um ein Auto für die Masse. Ist der F-150 doch seit fast 50 Jahren das meistverkaufte Auto in den USA. »Jetzt eröffnen wir der Elektromobilität eine völlig neue Zielgruppe und bahnen ihr den Weg in die Breite der Gesellschaft.« Dass die Amerikaner vom Pick-up auf andere, womöglich sogar kleinere Fahrzeuge umsteigen, ist unwahrscheinlich.
Fotostrecke
Ford F-150 Lightning im Test: Kraftwerk auf Rädern
Foto:
Ford
Der neue Antrieb soll das Segment noch attraktiver machen. »Wir haben unseren Bestseller nicht einfach elektrifiziert«, sagt Projektleiterin Linda Zhang. »Sondern wir haben den Pick-up neu erfunden und so viel mehr Möglichkeiten geschaffen.« Für diese Idee wird die Frau hinter dem Machoauto in den US-Medien gerade abgefeiert.
Stolz ist Zhang vor allem auf den riesigen Frunk, das 400 Liter große Staufach im Bug. In ihm kann erstmals bei einem Pick-up empfindliche Ladung geschützt und abgeschlossen transportiert werden. Gern spricht sie auch über die Batterie im Wagenboden. Sie und ein halbes Dutzend Steckdosen machen das Auto zum mobilen Kraftwerk. Und zum Katastrophenschützer: Auf Wunsch installieren Ford-Partner die Wallbox in der heimischen Garage so, dass der F-150 das gesamte Haus mit Strom versorgen kann. Einer normalen Familie reicht die Energie aus dem Autoakku etwa drei Tage lang. Das ist ein Verkaufsargument in den USA, wo es häufig Blackouts gibt.
Auch dank solcher Verheißungen ist der F-150 Lightning so etwas wie ein Lebenszeichen des Autosauriers Ford. Viele hatten den Hersteller schon abgeschrieben, ähnlich wie General Motors und Chrysler. Ford ist der Konkurrenz aus Detroit etwas voraus und hat mit dem Mustang Mach-E bereits einen Achtungserfolg erzielt. Der elektrische Pick-up soll nun auch Tesla Grenzen aufzeigen.
»Wir wollen zur Nummer 1 unter den Elektroanbietern werden«, sagt Palmer. Dafür hat er von Konzernchef Jim Farley ein Budget von 50 Milliarden Dollar bekommen. Fords E-Mobilität-Spezialisten sind nach Start-up-Strukturen organisiert. Hierarchien und Powerpoint-Präsentationen sind tabu, schnelle Entscheidungen erwünscht. Model E heißt die Einheit. Der Name erinnert an das Model T, mit dem Ford vor gut hundert Jahren die Fließbandproduktion eingeführt und die Automobilwelt revolutioniert hat.
Das ist uns aufgefallen: Der F-150 Lightning vermittelt den Insassen das Gefühl, über den Dingen zu sitzen – das ist in dieser Klasse üblich. Übersicht ist wichtig, um einen Koloss von knapp sechs Metern Länge ohne Kratzer ans Ziel zu bringen. Dabei strahlt das Auto viel Gelassenheit aus. Das Ambiente wirkt – abgesehen vom riesigen Touchscreen vor der Mittelkonsole – vertraut, samt dem halben Dutzend Becherhaltern, dem kühlschrankgroßen Staufach unter der Armlehne und den wohnzimmerartigen Sitzen. Sogar das Motorbrummen ist noch da – auch wenn es auf Knopfdruck von einem Soundgenerator erzeugt wird.
Erste Fahrt im Rivian R1T: Dieser Pick-up beschleunigt schneller als ein PorscheAus Venice, Kalifornien berichtet Thomas Geiger
Autogramm: Ford Bronco: Western von vorgesternVon Thomas Geiger
Autogramm Mercedes EQB: Warum fünf plus zwei nicht wirklich sieben istVon Thomas Geiger
Der Gewohnheitseffekt stürzt jedoch in sich zusammen, wenn sich der rechte Fuß zum Bodenblech senkt. Schockartig rammen die beiden E-Motoren mit zusammen 1050 Nm Drehmoment dem Fahrer eine unsichtbare Faust in den Magen und katapultieren den drei Tonnen schweren Koloss nach vorn. Von 0 auf 100 km/h geht es in deutlich unter fünf Sekunden – da erscheint mancher Mustang als lahmer Klepper.
So viel Kraft hat Ford aber nicht installiert, weil der F-150 Lightning ein Sportwagen sein soll. Dafür ist das Fahrverhalten auch zu behäbig, die Lenkung zu indifferent. Der Pick-up braucht den Wumms für den Einsatz auf Bauernhöfen, in Bergwerken und auf Baustellen. Oder in der Freizeit: Eine gute Tonne Nutzlast sowie Pferde- oder Bootsanhänger am Haken sollen komfortabel bewegt werden. Spätestens im Sand, im Schlamm oder im Schnee ist das üppige Drehmoment hilfreich. Anders als in Europa gehören Fahrten abseits des Asphalts in den USA zum Alltag.
360°-Ansicht
Werfen Sie einen Blick in den Innenraum des Ford F-150 Lightning mit unserem 360-Grad-Foto
Das muss man wissen: Der F-150 Lightning ist völlig neu aufgebaut. Er nutzt eine Skateboard-Architektur mit Batterie im Boden und Motoren an den Achsen. Beim Ford sind das zwei E-Maschinen mit zusammen 452 oder 580 PS. Dazu ein Akku mit entweder 98 oder 130 kWh Speicherkapazität, die laut US-Norm für 370 oder 515 Kilometer reichen. Die Preise beginnen bei knapp 40.000 Dollar, die Topvariante kostet mit allen Extras mehr als 90.000 Dollar.
Gebaut wird der F-150 Lightning in einem eigenen Elektroautowerk in Michigan, Ford hat dafür 700 Millionen Dollar investiert. Die Produktion ist angelaufen, noch im Mai kommen Vorführautos zu den Händlern, ab Juli die ersten Autos zu den Kunden.
Auch in der deutschen Ford-Zentrale in Köln liebäugeln manche mit dem F-150 Lightning. Schließlich will Ford in Europa bis 2030 alle Pkw – und bis 2035 auch alle Nutzfahrzeuge – auf den Akkuantrieb umstellen. Eine imageträchtige Zugnummer würde passen. Doch so schnell wird das wohl nichts werden. Denn in den USA sind binnen weniger Wochen mehr als 200.000 Bestellungen eingegangen, deshalb ist der elektrische F-150 gar nicht bestellbar. Bei einer Produktionskapazität von 150.000 Autos im Jahr wird es dauern, bis allein der Anfangshype abgearbeitet ist.
Das werden wir nicht vergessen: den kleinen Blitz und die US-Flagge auf der Heckklappe. Sie fallen zwar frühestens auf den zweiten Blick ins Auge. Doch die Symbole verdeutlichen: Dieses Auto soll die USA endgültig elektrisieren.
Thomas Geiger ist freier Autor und wurde bei seiner Recherche von Ford unterstützt. Die Berichterstattung erfolgt davon unabhängig.